Trüber November und letzte Früchte

Merkwürdige Diskrepanzen zwischen Vorhersagen und tatsächlichem Wetter. Bei uns kam den ganzen Tag über kaum ein Sonnenstrahl durch. Da will weder Herbst- noch Winterstimmung wirklich aufkommen. Auch die Fotovorhaben musste ich erneut aufschieben, weil das Licht einfach nicht geeignet ist. Keine gute Atmosphäre. V. hat das Baumfrüchtethema aber immer noch nicht beiseitegelegt. Als letztes wird er wohl die Mispeln ernten. Der Versuch, daraus Strudel zu machen, war mir vor einigen Jahren eine Ernüchterung. Für die Hand voll Fruchtfleisch war ich einen halben Tag beschäftigt. So schwierig ist es, die Frucht zu entkernen bzw. das Fruchtfleisch um die dicken Kerne herum herauszuschälen. Wenn sie nicht diese skurrile Form hätte und man außerdem daraus Schnaps brennen lassen kann, wäre die Frage tatsächlich naheliegend, wozu diese Frucht eigentlich gut sein soll. Ich glaube, V. will den Baum aus quasi nostalgischen Gründen behalten. Und weil der Anbau dieser Art in unserer Region ein gewissen Tradition weiterführt.

Symbolische Herbstfotografie

Beim Friedhofsbesuch gestern habe ich einige Plätze ausfindig gemacht, an denen ich symbolische Aspekte des Herbstes fotografisch festhalten kann. Am Feiertag war dazu natürlich keine Gelegenheit. Aber bei sonnigem Wetter sehe ich gute Möglichkeiten, neue Motive in diesem Feld festzuhalten. Dabei denke ich besonders an die Symbolik des Herbstlaubs in Verbindung mit verwitterten Holzoberflächen, eine alte Holzbank z. B., auf der sich die herbstlichen Blätter der darüber kronenden Bäume abgesetzt haben. Das richtige Licht ist dafür zwingend erforderlich. Leider war dieser Allerseelentag dafür nicht geeignet.

Allerheiligen – zeitlos verändert

Es war einfach schön, dass an diesem Allerheiligentag die Sonne erstmals seit Wochen einmal wieder konstant schien. Die Bedeutung des Gedenktags hat, anders als wir gesprächsweise zuletzt angenommen hatten, seine Bedeutung für die Menschen in unserer Region nicht verloren. Und da wir bei der Gelegenheit auch immer wieder Menschen treffen, die auch von weit her kommen, teilweise sogar aus dem Ausland, um das Grab eines verstorbenen Angehörigen zu besuchen, sehe ich diese Bedeutung auch überregional als zeitgemäß an. Bei den Gesprächen dort geht es natürlich um die Verstorbenen, aber auch und vor allem um gemeinsame Vergangenheit und gegenwärtige Gemeinsamkeit, die sich bisweilen über mehrere Ecken und entfernte Verbindungen herstellt. Sicher werde ich mit M. noch ein zweites Mal die Gräber von Bekannten besuchen und die Grabkultur in ihrer aktuellen Ausformung erleben. Nicht mehr ganz so wie zu Zeiten meiner Kindheit ist die Atmosphäre an Allerheiligen dort. Nicht mehr ganz so opulent erscheint der Grabschmuck auf unserem partiell mit hohen Bäumen überdachten Friedhof. Aber auch diese Kultur kann und muss sich mit den Menschen und ihrer Entwicklung verändern, damit Tage wie Allerheiligen ihren Sinn für die Menschen bewahren können.

Blätterfall

In diesen Tagen werfen die Bäume die meisten Blätter ab. Ein kurzer heftiger Windstoß und die gelb oder rötlich verfärbten Herbstblätter segeln zur Erde und bilden rund um die Wurzel einen dichten bunten Teppich. Das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Vorstellung von Herbst. Und es signalisiert etwas, das durch das Novembergedicht, das ich gestern hier wiedergegeben habe, sehr eindrücklich beschreiben wurde. In dem Maße wie die Bäume ihr Blätterkleid ablegen, ziehen wir uns ins Innere zurück, ins Innere des Hauses wie auch in unser eigenes Inneres. Es ist diese immer weitergehende Entfernung von der Ausdehnung in den Kosmos und der Rückkehr sozusagen zur Erde, die Rudolf Steiner u. a. in seinen Texten zum Weihnachtsfest in seiner Sprache erklärt hat. Diese Richtungsänderung ist mir nie so deutlich bewusst wie in der Zeit um Allerheiligen. Gleichzeitig bin ich froh, dass wir die Jahreszeiten kennen. Es würde ganz eindeutig etwas fehlen, das so nicht zu ersetzen ist.

Jetzt schon November


Novembertag

Nebel hängt wie Rauch ums Haus,
drängt die Welt nach innen;
ohne Not geht niemand aus;
alles fällt in Sinnen.
Leiser wird die Hand, der Mund,
stiller die Gebärde.
Heimlich, wie auf Meeresgrund,
träumen Mensch und Erde.

Christian Morgenstern
(1871 – 1914)

Ein Zitat aus diesem Gedicht ist heute mit dem neuen Katalog einer meiner Lieblingsmarken für nach ökologischen Kriterien produzierte Holz-Möbel zu uns gekommen. In dem Katalog sind tolle Tische, Betten und andere Alltagsmöbel u. a. aus Kern-Esche beschrieben. Ich finde es sehr sympathisch und überzeugend, wenn solche Möbel nicht einfach nur verkauft werden, sondern auch sinnhafte Argumente genannt werden . Historische Gedichtzeilen werden in dem Moment zum Verkaufsverstärker, da sie indirekt etwas über die Produzenten und ihre Philosophie sagen. Und auch der gesamte Katalog ist mit Informationen zu den Produkten und ihre Produktion und das verwendete Material nur so getränkt. In Sachen Marken vermittlung finde ich das vorbildhaft. Aber im Moment bewundere ich vor allem diese Zeilen, die zum Abschluss des Oktobers die jetzt schon spürbare Novemberstimmung nicht besser beschreiben könnten.

Erfahrungen mit dem Zurückschneiden

Obwohl ich kein Fachmann darin bin, wurden meine Baumschnittfähigkeiten von einem gelernten Gärtner gelobt. Das beruhigt mich, denn eigentlich bin ich beim Zurückschneiden des Zierahorns eher intuitiv vorgegangen. Natürlich beruht das Ganze auch auf ein wenig Erfahrung mit dem Rückschneiden anderer Bäume, z. B. beim Feigenbaum, den ich schon etliche Male saniert habe, und beim Maulbeerbaum, der ebenfalls einmal jährlich einen kräftigen Rückschnitt benötigt. Dieser Zierahorn ist aber sehr filigran gewachsen. Da hat es schon etwas Mut erfordert, den größeren Teil der verschiedenen umeinander spiralig verschlungener Teilstämmchen zu entfernen, um dem stärksten und vielversprechendstem mit seinen wesentlich Kronästen ein Chance zu geben. Ich hoffe, das Bäumchen wird im Frühjahr wieder austreibe und eine schöne, ausgewogene Krone ausbilden.

Den Jahreszeitenwechsel in sich aufnehmen

Die Atmosphäre hat schon seit Tagen den Charakter, den ich sonst kurz vor Allerheiligen wahrgenommen habe. Die typische Novemberstimmung, die den Übergang zum Kalten und nicht mehr auf Wachstum Angelegten kennzeichnet. Nicht schon die vollständige Zurückgezogenheit, sondern die Ankündigung derselben. Und gerade weil ein Übergang erkennbar wird, ist die Veränderung an sich greifbar. Der Winter selbst bringt dann schon diese Klarheit und Selbstverständlichkeit mit sich. Ich finde solche Dinge besonders spannend, zu beobachten, wie Menschen mit dem Wechsel der Jahreszeiten umgehen, wie sie diesen Wechsel im Spiegel der Bäume in sich aufnehmen und wie ihr eigenes Seelenleben davon berührt und nicht unwesentlich beeinflusst wird. Wir wissen noch viel zu wenig über diese Zusammenhänge, obwohl sie wahrscheinlich lebenswichtiger sind als so manche Entwicklung in den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen.

Der Baum als Lebensthema

Das Interesse an und das Verständnis für die Symbolik der Bäume sind durchaus groß, in einer zeitlosen Weise. Die Art etwa, wie die Bedeutung alter und beeindruckender Baumindividuen in einer Sendereihe auf ARTE aktuell aufbereitet und dargestellt wird, ist ein Zeichen dafür. Mich wundert das nicht, da ich das Thema seit etwa 15 Jahren intensiv reflektiere und die Äußerungen und Einstellungen der Menschen meiner Umgebung genauestens beobachte. Die Erkenntnis daraus ist, dass die äußeren Lebensumstände, die wirtschaftlichen Herausforderungen, die politisch diskutierten Themen wechseln mögen. Die Betrachtung der Spiegelung menschlicher Befindlichkeit in den Bäumen ist dagegen immer hintergründig, bleibt von allem anderen unberührt. Einfach weil wir es mit dem Baum mit einem universellen Symbol zu tun haben, das unser Verhältnis zum Leben, unser Nachdenken über Prinzipien des Lebens, besonders gut unterstützt. Je mehr ich darüber erfahre und im Alltag erlebe, desto weitreichender scheint mir das symbolische Feld, auf dem wir uns mit den Bäumen bewegen. Ein Themenfeld, das unerschöpflich und horizontlos zu sein scheint und auch insofern ein großes Lebensthema.

Blätterherbst noch nicht angekommen

Seltsam, der Blätterherbst hat mich bisher nicht fesseln können. Erkennbar ist er inzwischen schon. Bereits morgens, nach dem Öffnen der Fenster, strahlt mir das Gelb, Braun und Rot des Herbstlaubs unserer Gartenbäume entgegen. Dominierend ist dabei das Gelb, durch die Art, wie die Blätter des Ginkgos sich verfärben. Durch den Feigenbaum mischt sich aber auch Braun darunter. Und beim Nussbaum kann das sehr schnell in schwärzliches Dunkelbraun umschlagen. Ich habe noch Hoffnung, dass sich der Goldene Oktober in den letzten Tagen des Monats zeigt. Ansätze dazu gab es schon, aber noch sehr dürftig. Wenn das typische goldene Licht dieser Zeit erkennbar wird, könnte es mit neuen Herbstblätterfotos vielleicht doch noch etwas werden.

Über das geheime Leben der Bäume

Den Buch-Bestseller über das geheime Leben der Bäume von Peter Wohlleben habe ich erst kürzlich entdeckt. Nach den ersten Kapiteln zu urteilen, verstehe ich, dass es einen so großen Erfolg hat. Das liegt wohl weniger daran, dass vollständig neue Grundgedanken und Erkenntnisse enthalten wären als daran, wie der Autor die vielfältigen Interaktionsmechanismen und Kooperationsstrategien der Bäume innerhalb derselben Art, zwischen verschiedenen Baumarten und im Verhältnis zur Waldgemeinschaft sehr flüssig zusammenfasst und dabei ein weites Spektrum aufzeigt. Sehr lebendig geschrieben, mit vielen anthropomorphisierenden Darstellungen und Formulierungen fühlt man sich den Baumwesen so sehr nahe und entdeckt sehr viele Gemeinsamkeiten, die man leicht mit menschlicher Befindlichkeit und sozialer Interaktion unter Menschen in Bezug setzen kann. Wahrscheinlich ist vor allem das das Geheimnis des Bucherfolgs. Vertraute Gedanken auf eine Spezies bezogen, die man gewöhnlich viel distanzierter betrachtet. Das ist das Neue, das unendliche Ansätze zum Nachdenken und Überdenken unseres Verhältnisses zu den Bäumen bietet.

Wintergartenarbeit und Brennholz

Das war einmal wieder ein sehr intensiver Gartenarbeit-Samstag. Am Vormittag habe ich zusammen mit M. die Winterblumen vorm Haus gesetzt. Winterheide in Weiß, Rosa und Rot, Stiefmütterchen in Gelb, Weiß, Purpur, Gelb-Lila und Blau-Weiß und eine weitere winterharte Pflanze mit dicken roten Beeren, deren Namen ich mir nicht merken kann. Zuvor mussten wir natürlich die Sommerblüher herausnehmen. Einige der schönsten Blüten haben wir abgeschnitten, so dass sie noch einige Tage in der Vase weiterleben können. Andere noch schön blühende haben wir hinters Haus verfrachtet, da sie dort etwas geschützter stehen, wenn die richtigen Nachtfröste kommen. Und die wunderschöne Strohblume steht immer noch an ihrem Sommerplatz, weil sie bisher einfach nichts an ihrer Vitalität und Schönheit eingebüßt hat. M. wird sicherlich um die Winterblumen einiges Moos verteilen. Das sieht hübsch aus und passt auch m. E. symbolisch gut zur Jahreszeit. Richtig los ging es dann am Nachmittag. Nachdem V. das Brennholzsägen erst heute gar nicht angehen wollte, war er am Nachmittag doch noch bereit. So haben wir uns die beiden Anhängerladungen mit überwiegend Nadelholzabschnitten, durchmischt mit einigen Obstbaumstücken vorgenommen und wider Erwarten bis zum Abend auch vollständig in ofengroße Stücke sägen können. Der Brennholzvorrat dürfte jetzt für den größeren Teil der Ofensaison ausreichend sein. Nur wenn wir früher beginnen und es ein sehr langer Winter werden sollte, müssen wir vielleicht noch einmal Nachschub besorgen. So wäre ein wichtiger Gartenarbeitstag wieder erfolgreich erledigt. Wahrscheinlich war das auch der letzte wirklich anstrengende für dieses Jahr. Obwohl – in der Adventszeit ist auch noch mit einigem zu rechnen.

Esskastanien im Bild

Leider hat V. nicht daran gedacht, mir eine Reihe von Esskastanien mit stacheliger Hülle aufzuheben. Ich hätte sehr gerne in der Art der anderen in den letzten Jahren realisierten Baumfrüchte-Fotos auch ein solches mit den Kastanienfrüchten gemacht, am liebsten im Originalzustand. So bleibt nur noch die Möglichkeit, die braunen Kerne als Schüttung zu arrangieren. Na ja, vielleicht kommt das ja der Anmutung sonstiger Beerenfrüchte noch näher, nur ist es eben ein Stück weit vom Baum entfernt. Vielleicht ein Projekt für kommendes Jahr, dann mit besserer Planung.

Abschluss der Feigensaison

Die letzten Feigen von unserem Baum sind nicht mehr richtig ausgereift. Ich habe sie dennoch abgepflückt, bevor die Nachfröste sie vom Baum fallen lassen. Und damit M. die Saison mit einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr abschließen kann. Ich denke, der Baum hat sich bereits von diesem Jahr verabschiedet. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, bis die Blätter brüchig werden und abfallen. Dann ist von den wenigen kleinen und harten Früchten ohnehin nichts mehr zu erwarten. Im neuen Jahr beginnt das Spiel von vorne, hoffentlich mit einem Baum, dem der Winter nicht so zugesetzt hat, dass er nicht mehr austreiben kann. Hoffnungen setze ich vor allem in die Wurzeltriebe, die im Sommer neu entstanden sind. Die könnten der Auftakt für einen Feigenbusch werden, der vielleicht größere Überlebenschancen hat.

Auf Abschluss programmiert

Ein Einundzwanzigster, der dennoch nichts Spektakuläres an sich hatte. Immerhin konnte ich die kunsthandwerkliche Arbeit abschließen, so dass nun wieder Luft für neue Projekte ist. Ich schätze, bis Weihnachten wird da noch so einiges anstehen. Gleichzeitig wünsche ich mir einen weniger kalten Winter, der die notwendigerweise im Freien durchzuführenden Arbeiten leichter gestaltet. Tatsächlich drehen sich die Gespräche jetzt schon immer öfter um Advent, Weihnachten und das Jahresende. Mit den letzten beiden Monaten des Jahres im Blick ist alles auf Abschließen programmiert. Und gepaart ist das in diesem Jahr mit einer großen Portion Unsicherheit und Zukunftsangst, die die Menschen bereits jetzt lähmt und das Entstehen neuer Initiativen eher hemmt. Ich hoffe, dass der Winter uns dabei unterstützt, diese Verhärtung ein Stück weit aufzulösen und Platz zu machen für Neuanfänge und Verbesserungen.

Persönliches Baumtagebuch von Bernhard Lux: Täglich begegne ich den Bäumen auf vielfältigen Wegen. An ihrem jeweiligen Standort in der Natur, in der Lektüre von Baum- und anderer Literatur, in der alltäglichen Reflexion, der handwerklichen Arbeit und im Gespräch mit der Familie oder Freunden und Kollegen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese themenbezogenen Beobachtungen, Interaktionen und Kommunikationen in Form des Baumtagebuchs zu dokumentieren. Seit dem 20. November 2004 habe ich keinen einzigen Tag ausgelassen – ein Zeichen dafür, dass das Baumthema und der Baum als Archetypus tatsächlich im Alltagsleben verankert ist und vielfältige inhaltliche Assoziationen ermöglicht. So mag dieses Baumtagebuch jeden seiner Leser/innen auf die Spur einer je eigenen Beziehung zu den Bäumen führen.