Karfreitagsgedanken

Rudolf Steiners Gedanken zu Ostern haben so gar nichts mit der detaillierten christlichen Tradition zu tun. In dem Vortrag von 1908 hat er vielmehr das sehr deutlich umgesetzt, was schon seine Zeitgenossen so geschätzt und bewundert haben. Nämlich die Grundlegung, die Rückführung christlichen Gedankenguts auf seine Wurzeln, auf die eigentlichen geistigen Grundlagen, die nach seiner Darstellung in vorgeschichtlicher Zeit zu orten sind, in einer Zeit, in der die Menschheit in einer anderen Form, mit einem anderen noch übersinnlich begabten Bewusstsein auf dieser Erde gelebt hat. Die Fäden, die von dort aus aufzunehmen sind, enden bei der Entwicklung der christlichen Lehre und weisen vor allem in die Zukunft. Denn das ist es, was Steiner vor allem betont: Anders als das Weihnachtsfest verweist Ostern nicht nur zurück auf eine Zeit der Offenheit zur und Einheit mit der geistigen Welt, sondern erinnert gleichzeitig auf den zukunftgerichteten Sinn der Menschwerdung Gottes in Gestalt des Jesus Christus. Insofern sieht er das Christentum nicht bloß als Religion, sondern als etwas, das das gesamte kulturelle und geistige Leben der Zukunft wesentlich beeinflussen kann. Die Fernperspektive ist die Überholung der Religion selbst, die in dem Moment wieder so überflüssig wird, wie sie es vor der Abschneidung von der geistigen Welt schon einmal war, nämlich dann, wenn diese Durchdringen der Grenze wieder etwas Natürliches geworden sein wird, dann aber angereichert und gestärkt durch die Erfahrungen des wahrnehmenden Körperlichkeit. Eine faszinierende und sehr tiefgehende Grundlegung dessen, was uns Ostern eigentlich bedeuten kann. Es ist so bedauerlich, dass solches Denken nach Steiner keine sehr einflussreiche Weiterentwicklung gefunden zu haben scheint. Die wissenschaftliche Denkart einerseits und der schon zu seinen Zeit als sinnlos entlarvte Versuch wissenschaftlicher Erklärungen des Übersinnlichen ist stattdessen immer noch im Zentrum der Diskussion sogar spiritueller Thematik. Höchste Zeit, zum wirklichen Verständnis von Mensch und Kosmos das Grundlegende in den Blick zu nehmen.